Der Moment am See

Kennen Sie das auch?

Man lässt einen Moment verstreichen, weil man seinem ersten Impuls nicht vertraut hat oder einem der Mut fehlte; und man weiß genau, da habe ich etwas „liegengelassen“. Das müssen keineswegs nur lebensentscheidende Dinge sein.

Zum Beispiel heute. Ich mache einen Foto-Spaziergang vorbei am See. Ein Mann sitzt in Ufernähe auf der kleinen Ruhefläche seines Rollators. Er schaut aufs Wasser. Eine Entenschar schwimmt heran. Ich bleibe stehen, die friedvolle Szene rührt mich irgendwie.

„Na, Sie haben sich ja einen schönen Platz ausgesucht!“ Ich gehe zum Ufer und sage ihm das. Das zumindest war mein erster Impuls.
Aber ich zögerte zwei Sekunden zu lange.

Vielleicht hätte sich eine nette Unterhaltung ergeben, vielleicht hätte der Mann sich gefreut, weil er selten mit jemandem spricht, vielleicht hätte ich ihn aber auch nur gestört.

Vielleicht sieht er ja das Foto hier, okay, das wäre dann doch sehr, sehr unwahrscheinlich. Oder er wohnt in dem Heim, wo ich am Freitag meine Geschichten lese. Dann könnte er mich ansprechen, „Ich habe Sie doch letztens am See gesehen?“
Wer kann das wissen…

Danke für den Moment.

Von Astrid Reimann

Journalistik-Studium, zwei Semester, Fachschule für Journalistik des Verbandes der Journalisten der DDR | Studium kreatives Schreiben, sechs Semester, Axel Andersson Akademie Hamburg | 2006 Farbimpressionen und Collagen mit Acrylfarbe und verschiedenen Materialien | Seit 2014 Momentaufnahmen, Stillleben