Die Träumerin-fünf für 08

Die Träumerin

 

Ich sitze in der ersten Reihe von zehn. Näher ran an die Bühne geht nicht.

„The Spirit“ werden gleich spielen, die Band, die seit drei Monaten in unserem Nachbarschaftshaus probt. Ein Konzert in kleinem Rahmen als Dankeschön für uns Ehrenamtliche.

 

Bereits der erste Song zieht mich in seinen Bann und –

der Sänger und Gitarrist. Er ist mindestens zwei Meter groß, trägt ein rotes Bandana um seine zum Zopf gebundenen schwarzen Haare. Steht ihm gut.

Wie er lacht. Wie er beim Singen lacht. Das geht ins Herz.  Er schaut mich direkt an.

Ich sitze in der ersten Reihe und in diesem Moment verliebe ich mich.

 

Und ich habe diesen Jungen bei mir, Kevin, den Sohn einer Bekannten, der Gitarre spielt und fragen will, ob er mal zu einer Probe kommen kann.

Ja, wir würden ihn fragen, den Gitarristen mit den großen Händen, ich würde ihn fragen. Und selbstlos würde ich Kevin natürlich dann zur Probe begleiten. Meine Gedanken gleiten davon.

Und der Sänger lächelt mich an. Das kann doch kein Zufall sein.

 

Meine Freundin Ines kommt wie immer zu spät. Geräuschvoll lässt sie sich auf den Platz links neben mir fallen, den ich ihr freigehalten habe. Dann klingelt auch noch ihr Handy. Ich werfe ihr einen bösen Blick zu.

Bedauerlicherweise muss sie gleich nach dem Konzert wieder los. Ich bin nicht böse darum, denn sie ist, na ja sie sieht halt viel besser aus als ich und traut sich mehr.

 

Nach der letzten Zugabe stehe ich also mit klopfendem Herzen und dem Jungen an meiner Seite vor dem Gitarristen. Kevin spielt etwas vor. In entwickle tiefe Muttergefühle.

Ja, er kann zu einer Probe kommen. Wir dürfen kommen.

Mein rechtes Ohrläppchen glüht, wie es das immer tut, wenn ich aufgeregt bin. Was für ein Tag! Ein Hoch auf die Schmetterlinge und Flugzeuge und roten Ohren!

 

Am Mittwoch nach dem Konzert bin ich mit meiner Freundin im Café „Sorglos“ verabredet. Ob ich es ihr erzähle? Morgen ist die Probe und ich kann an nichts anderes mehr denken.

Die Schmetterlinge sind vom Bauch hoch in meinen Hals geflogen und kitzeln meine Zunge – ich muss das loswerden.

Doch als ich gerade den Mund öffne, platzt  Ines heraus:

„Ich muss dir unbedingt was sagen.“ Sie strahlt wie ein…

„Mich hat es erwischt wie schon lange nicht mehr!“

 

Es würde also werden wie immer, wir erzählen uns gegenseitig unsere neuesten Liebesabenteuer und wenn wir uns nach einer gewissen Zeit erneut treffen, trösten wir einander, weil es wohl wieder einmal der Falsche war.

 

Also frage ich nicht besonders neugierig: „Und, wer ist es?“

 

„Na der Sänger! Von Freitag. Von dem Konzert! Sein Lachen hat mich völlig wahnsinnig gemacht. Wenn ich nur daran denke. Er hat doch die ganze Zeit zu mir rübergeschaut. Das muss dir doch aufgefallen sein? –

Hallo! Hörst du mir überhaupt zu?“ fragt sie, weil ich nicht gleich antworte. Antworten kann, weil meine Schmetterlinge gerade gestorben sind.

 

„Mir?“ sage ich schließlich nach gefühlten drei Stunden. „Nein, is mir nicht aufgefallen. Ich war wohl mit meinen Gedanken woanders.“

 

„Ach du, meine liebe Träumerin!“ sagt meine Freundin und streichelt meine Hand.

Ja ich Träumerin…

Von Astrid Reimann

Journalistik-Studium, zwei Semester, Fachschule für Journalistik des Verbandes der Journalisten der DDR | Studium kreatives Schreiben, sechs Semester, Axel Andersson Akademie Hamburg | 2006 Farbimpressionen und Collagen mit Acrylfarbe und verschiedenen Materialien | Seit 2014 Momentaufnahmen, Stillleben